Mangelhafte Beratung kostet Anleger mindestens 50 Milliarden Euro jährlich. Zu diesem Ergebnis kam der Bamberger Universitätsprofessor Andreas Oehler in einer Studie im Dezember 2012. Bewusste und systematische Falschberatungen sind nach Regulierung der Branche selten geworden. Warum entstehen Anlegern dennoch Jahr für Jahr Milliardenschäden an ihrem Vermögen? Die Niedrigzinsphase führt dazu, dass Anleger bereit sind, unverhältnismäßig hohe Risiken einzugehen. Hinzu kommt der Ertragsdruck der Bankbranche.
Man muss damit rechnen, dass die Zinsen noch Jahre sehr niedrig bleiben werden. Je länger diese Phase anhält, desto schwieriger wird es für Bankberater. Was sollen sie Verbrauchern empfehlen? Normalanleger wünschen sich überwiegend so viel Sicherheit wie möglich, aber die Zinsen im Einlagenbereich liegen nur noch knapp über null Prozent. Dazu kommt der Vertriebsdruck von Seiten der Arbeitgeber. Jeder Bankberater erhält Vorgaben, wie viele Produkte oder Erträge er veräußern bzw. erwirtschaften muss. Banken müssen Geld verdienen, mit einfachen und transparenten Finanzprodukten ist das praktisch unmöglich geworden. Lediglich mit komplexen und schwankungsanfälligen Finanzanlagen ist eine für die Bank akzeptable Marge zu realisieren. Verheerend wirkt sich ebenso die Niedrigzinspolitik der EZB aus. Jede Bank kann sich bei der Zentralbank günstiger refinanzieren als bei den eigenen Kunden. Kreditinstitute sind auf ihre Einlagen nicht mehr angewiesen, solange sie sich Geld zum Nulltarif bei der EZB leihen können. Banken finanzieren zudem unrentable Projekte von Unternehmenskunden, die sich nur aufgrund der geringen Zinsen rechnen. In diese investieren aber gerade Privatanleger wegen ihrer angeblich hohen Rentabilität.
Jede Bank erzielt nur dann eine Einnahme, wenn der Kunde einen Vertrag unterschreibt. Erscheint der Verbraucher zum Beratungstermin, hat der Berater die Finanzprodukte bereits vor Augen, die er absetzen will. Entweder sind gerade Wertpapierwochen, in denen Fonds verkauft werden sollen, oder den Berater plagt ein schlechtes Gewissen, weil er bereits seit zwei Wochen keine Rentenversicherung mehr veräußert hat. Beispielsweise mit diesen beiden Anlageformen kann die Bank einträgliche Provisionen erzielen, die sie von der Fonds- bzw. Versicherungsgesellschaft erhält. Außerdem gehört es zum obersten Prinzip aller Banken, das Geld im eigenen Haus oder bei Kooperationspartnern zu behalten. Daraus generiert man Folgegeschäfte, an denen abermals verdient werden kann. Ein weiteres Beratungsdefizit tritt durch Einsparungen im internen Bankprozess zutage. Es werden zum Großteil nur standardisierte Produkte angeboten, die als individuelle Lösungen verkauft werden. Auf diese Weise sparen Finanzanbieter Emissions- und Beratungsaufwand.
Der Bankberater befindet sich also im Spannungsfeld zwischen ertragsorientierter Beratung und den Kundenbedürfnissen. Überzeugend und empathisch Finanzprodukte zu verkaufen, dafür werden Bankberater regelmäßig geschult. Ein unerfahrener Anleger, der sich wenig mit Finanzen beschäftigt, ist einem qualifizierten Finanzexperten kaum gewachsen. Der Kunde ahnt meist nicht einmal etwas von der Tragweite des Konflikts, in dem der Bankberater sich befindet. Diesen Interessenkonflikt kann auch der beste Finanzberater nicht aus der Welt schaffen, weil Kosten und Rendite von Finanzinstrumenten zwei Seiten einer Medaille sind. Was für den Kunden Aufwand darstellt, der ihn Rendite kostet, sind für die Finanzwirtschaft Erträge. Dieser grundlegende Interessenkonflikt lässt sich im Finanzbereich nicht vermeiden, der Verbraucher kann nur versuchen, dabei soweit wie möglich seine Interessen zu wahren.
Der Interessenkonflikt ist auch nach der großen Finanzkrise nicht kleiner geworden. Kapitalanlegerschutzgesetze können nur die Grundsätze und Rahmenbedingungen für eine kundenorientierte Beratung regeln. Konfliktverschärfend wirken die Einflüsse neuer Technologien und Prozesse für Finanzentscheidungen, Anlageentscheidungen werden zunehmend digitalisiert und automatisiert. Es gab noch nie eine solche Fülle von Informationen, auf die Kapitalanleger im Internet zugreifen können. Den Überblick zu behalten, das schafft nur ein gut informierter Anleger, der weiß, was er will. Als Anleger sollte man auch auf die Dokumentation des Beratung in Form eines Beratungsprotokolls achten. Zudem muss er sich auf den Beratungsprozess gut vorbereiten und feste Zielvorstellungen für seine Geldanlage entwickeln.Wofür braucht er dann noch einen Finanzproduktverkäufer mit beratender Funktion? Diesen muss der Bankkunde über Agios, Ausgabeaufschläge und andere Vertriebsprovisionen schließlich bezahlen, auch wenn das auf den ersten Blick nicht für jeden ersichtlich ist. Bankberatung ist nicht gratis. Sie unterliegt den Gesetzen des Marktes und der Konkurrenz, es geht immer um den Verkauf der gewinnträchtigsten Finanzinstrumente für Banken.
Da diese Geldanlagen die höchsten Gebühren aufweisen, muss der Investor seine Kosten reduzieren. Bei Aufträgen über das Internet fallen die Vertriebsprovisionen größtenteils weg und die Investments sind insgesamt kostengünstiger für Kapitalanleger. Dies wirkt sich positiv auf die Rendite für Privatanleger aus. Jeder Anleger kennt sich und seine Bedürfnisse am besten, er sollte deshalb seine Investmententscheidungen in die eigenen Hände nehmen. Dem stehen in der Praxis die Komplexität von Finanzprodukten und -begriffen sowie die fachliche Unwissenheit und Leichtgläubigkeit vieler Verbraucher entgegen. Wer die Risiken von Finanzanlagen nicht richtig einzuschätzen weiß, kauft letztendlich die für seine Vorsorge ungeeigneten Produkte. Niedrige Zinsen hindern Anleger nicht an guten Investmententscheidungen, sondern vielmehr die nach wie vor mangelhafte Qualität der Bankberatung und fehlende Finanzkenntnisse seitens der Investoren.
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