Beim Thema Stadtentwicklung denkt man womöglich zunächst an Großprojekte, an aufregende Architektur, die sich in ein Stadtbild einzugliedern hat. Tatsächlich kümmert sich die Stadtentwicklung, sehr interdisziplinär, um die Gesamtplanung und die Gesamtentwicklung einer ganzen Stadt und berücksichtigt dabei auch die gesellschaftliche, wirtschaftliche, kulturelle und ökologische Entwicklung, ein Vielfaches mehr zählt also dazu. Der Städtebau mit größeren Infrastruktur- und Immobilienprojekten ist dann nur ein Teil davon.
40 % der deutschen Bevölkerung lebt in Städten mit unter 20.000 Einwohnern. In diesen Gemeinden und Städten hat Stadtentwicklung naturgemäß andere Dimensionen als in den Oberzentren und Großstädten des Landes.
Ein Beispiel und Bestandteil jeglicher Stadtentwicklung ist die Steuerung des Einzelhandels, unter anderem durch das Instrument der Flächennutzungsplanung, um die Versorgung der Bürger bestmöglich zu gewährleisten. Am Beispiel der Kleinstadt Bad Doberan, die erst 2016 ein neues, sogenanntes Einzelhandels- und Zentrenkonzept beschlossen hat, lässt sich dieser Bereich der Stadtentwicklung sehr gut nachvollziehen.
Bad Doberan: Nicht nur die Bewohner müssen hier einkaufen
Das Seeheilbad Bad Doberan liegt mit seinen rund 12.000 Einwohnern nahe der Ostsee, unweit von Rostock. Durch den Stadtteil Heiligendamm ist Bad Doberan mit dem G8-Gipfel 2007 zumindest kurzzeitig weltberühmt geworden. Zusammen mit der attraktiven Lage an der Ostsee, dem ältesten Seebad Europas und der Nähe zum großen Erholungsbad Kühlungsborn ist die Stadt ein beliebter und gut besuchter Tourismusstandort. Die Ostsee ist nach Spanien das zweitbeliebteste Reiseziel der Deutschen, allein im Landkreis Rostock, zu dem Bad Doberan zählt, gab es 2015 knapp 5 Mio. Übernachtungen.
Dies stellt folglich auch höhere Anforderungen an den Einzelhandel der Kleinstadt. Zuletzt wurde 2005 ein Einzelhandelsgutachten für die Stadt Bad Doberan erstellt, das die Versorgung der Bürger sicherstellen soll. Veränderungen der Bevölkerungsstruktur und weitere Faktoren wie Wohnungsbau, Tourismusaufkommen und die Veränderung von Kaufkraft und Konsumverhalten machen eine regelmäßige Neubetrachtung notwendig. 2015 wurde daher die Erstellung eines neuen Einzelhandels- und Zentrenkonzept in Auftrag gegeben und 2016 von der Stadtverwaltung verabschiedet.
Hauptzentren und Sortimente
Die CIMA Beratung + Management GmbH hat das Konzept entwickelt und dazu zunächst die bestehenden Angebots- und Nachfragestrukturen der Stadt untersucht sowie die Marktgebiete abgegrenzt.
Bestandserhebung
Die Einwohneranzahl Bad Doberans ist laut Einzelhandels- und Zentrenkonzepts von 2011 bis 2015 um 5 % gestiegen, während sie im Durchschnitt im Landkreis und im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern jeweils leicht gesunken ist. Auch die Anzahl der Ankünfte, der Übernachtungen und die durchschnittliche Aufenthaltsdauer hat sich im Vergleichszeitraum leicht erhöht.
Was das Marktgebiet angeht, unterscheidet die Analyse zwischen Zonen des Stadtgebiets Bad Doberans, einem südlich dazu befindlichen Nahbereich und einem erweiterten Nahbereich im Umland. Für diese Zonen hat sich gezeigt: Auch für den regelmäßigen Tages- bzw. Wocheneinkauf, dem sogenannten periodischen Bedarf, fahren Bewohner aus dem Nahbereich ins Stadtgebiet Bad Doberans und müssen versorgt werden. Somit vergrößert sich das Marktgebiet Bad Doberans auf rund 40.000 Einwohner.
Das nächstgelegene Oberzentrum ist Rostock, rund 15 km östlich von Bad Doberan, und wird für Teile des aperiodischen Bedarfs genutzt, d.h. Einkäufe des nicht-täglichen Bedarfs, wozu Spezialgeschäfte und besondere Warenhäuser zählen. Güstrow und Wismar liegen als weitere Mittelzentren jeweils rund 35 km entfernt.
Die Kaufkraft ist in Bad Doberan laut den Ergebnissen des Einzelhandelskonzepts moderat, der durschnittliche Ausgabesatz pro Jahr und pro Kopf entspricht mit etwa 5.040 € etwa dem Landesdurchschnitt, liegt allerdings deutlich unter dem Bundesdurchschnitt.
Zentraler Versorgungsbereich "Hauptzentrum Innenstadt"
Innerhalb Bad Doberans identifiziert das Konzept vor allem drei Versorgungsbereiche, wovon das "Hauptzentrum Innenstadt" im Bereich der Doberaner Altstadt der bedeutendste Einzelhandelsstandort ist. Dort befinden sich knapp zwei Drittel aller Einzelhändler der Stadt. Den meisten Umsatz generieren hier Anbieter des periodischen, also regelmäßigen Bedarfs, wovon der Discounter Netto und der Drogeriemarkt Rossmann die Größten sind.
Was den Einzelhandel für nicht-tägliche Waren angeht, den aperiodischen Bedarf, findet sich in der Innenstadt Bad Doberans ein kleinteiliges Angebot, die größten Anbieter sind die Textilfachmärkte KiK und NKD, sowie das Schuhhaus Bock.
Baukasten Stadtentwicklung: Die Sortimentsliste
Wie können Stadtverwaltung und Städteplaner die Verteilung von Einzelhandelsgeschäften innerhalb einer Stadt beeinflussen? Der Gesetzgeber hat dazu in den vergangenen Jahren die Basis geschaffen und den Stadtverwaltungen bei der Bauleitplanung die Möglichkeit gegeben, gezielter Stadtentwicklung zu betreiben, indem bestimmte Stadtgebiete von einzelnen, sogenannten Sortimenten ausgeschlossen werden können.Der Begriff Sortiment beschreibt in Bezug auf die Stadtentwicklung in etwa eine Einzelhandels-Kategorie, wie z.B. Reformwaren, Lebensmittel oder Spielwaren. Eine Stadt kann also - schlicht formuliert - wie am Reißbrett festlegen, dass beispielsweise ein Gewerbegebiet am Stadtrand nicht mit Einzelhändlern aus dem Sortiment Arzneimittel/Apotheken besiedelt werden soll.
Im Einzelhandels- und Zentrenkonzept für die Stadt Doberan wurde eine spezifische Sortimentsliste erstellt. Denn jede Stadt hat unterschiedliche Voraussetzungen und Bedürfnisse, die eine individuelle Betrachtung sinnvoll machen.
Die Bad Doberaner Sortimentsliste dient dem Schutz und der Entwicklung der zentralen Versorgungsbereiche sowie der Sicherung einer wohnortnahen Grundversorgung, heißt es in dem Konzept. Sie solle nicht den Wettbewerb behindern, sondern eine räumliche Zuordnung vornehmen, wo dieser Wettbewerb stattfinden soll.
In zehn Jahren hat sich viel verändert
Für Bad Doberan wird die Sortimentsliste konkret unterschieden nach Relevanz in "nahversorgunsgrelevant", "zentrenrelevant" und "nicht-zentrenrelevant". Nahversorgungsrelevant sind folglich Einzelhändler, die eine herausgehobene Bedeutung zur wohnortnahen Versorgung des täglichen und wöchentlichen Bedarfs haben. Nicht-zentrenrelevante Angebote sind hingegen bspw. Sortimente, die aufgrund ihres hohen Flächenbedarfs nicht für zentrale Standorte geeignet sind oder jene, die aufgrund der geringen Flächenproduktivität innerstädtische, höhere Mieten nicht tragen können.
Wieso diese detaillierte Konzeption und der ganzheitliche Ansatz eines solchen Einzelhandelskonzepts Sinn macht, zeigt ein konkretes Beispiel: 2006 wurde für die Sortimente in Bad Doberan noch zwischen Drogerie-, Kosmetik- und Parfümwaren unterschieden. Zehn Jahre später zeigt sich jedoch, dass diese Waren inzwischen weniger in fachspezifischen Läden wie Parfümerien, sondern vielmehr in Supermärkten und Drogeriemärkten gemeinsam verkauft werden. Die Veränderungen auf Seiten des Einzelhandels - von Fachgeschäften zu großen Einzelhandelsgeschäften - und verändertes Konsumverhalten können sich also deutlich auf die Stadtentwicklung auswirken. Sie sollten es auch.
Schon kleine Maßnahmen können Einzelhandel optimieren
So führt das Einzelhandels- und Zentrenkonzept der CIMA Beratung + Management GmbH einige Punkte zur Verbesserung auf. Dabei ist grundsätzlich bei diesem Konzept zwar das Ziel, Bürgern - also Verbrauchern - eine bessere Versorgung für die Zukunft zu ermöglichen, soll aber auch allen anderen Beteiligten - also den Einzelhandelsbetrieben in der Stadt und der Peripherie sowie der Stadtverwaltung - zugute kommen.
Zur Steigerung der Attraktivität der Innenstadt sieht das Konzept zahlreiche Maßnahmen vor, darunter fallen beispielsweise gemeinsame Kernöffnungszeiten und längere Öffnungszeiten am Samstag und mit Blick auf das hohe Touristenaufkommen ein besseres Besucherleitsystem in der Stadt.
Ein weiterer interessanter Punkt ist auch das Flächenmanagement: Die Analyse des Konzeptpapiers stellt fest, dass es zwar in der Innenstadt nur einen Ladenleerstand gebe, allerdings mit frühzeitiger Erkennung von drohenden Leerständen gearbeitet werden sollte. Zusätzlich wird geraten, sich um ein „Immobilien-Fitnessprogramm" zu kümmern, damit sich die Einzelhandelsimmobilien attraktiv und zeitgemäß präsentieren.
Das Beispiel des Seeheilbades Bad Doberan zeigt, wie umfangreich die Stadtentwicklung auch für kleinere Städte ist.
Quellen: Einzelhandels- und Zentrenkonzept für die Stadt Bad Doberan - CIMA
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